Ein Kundenliebling hat Geburtstag
Gerade hat der Natursauerteig fünf Stunden Ruhezeit hinter sich. Natürliche Hefe hat sich gebildet und Dirk Köstner könnte es sich jetzt einfach machen: „Ein paar Zusatzstoffe rein, und der Teig wäre ruckzuck fertig.“ Aber der Backstubenleiter tut nichts dergleichen. Stattdessen gibt er dem Teig, der mal ein Krustenbrot werden soll, noch mehr Zeit. Denn die Milch- und Essigsäure, die das Roggenmehl backfähig und das Brot verdaulich machen – „all das kann der Teig unter den richtigen Bedingungen alleine entwickeln“, sagt der Bäckermeister. Nur brauche das Erfahrung, die anderswo fehlt und Zeit, die man sich vielerorts nicht mehr nehmen möchte.
Doch in der Lindner-Bäckerei wartet man lieber, weil ein Natursauerteig das Brot länger frisch hält und in der Reifung rund 300 Aromen entfalten kann. Darum bekommt der Teig noch einmal Zeit, damit sich Milchsäure und Hefestämme in der dritten Reifestufe weiter vermehren. Erst nach dieser Phase bekommt der Teig von kundiger Hand seine Form – und nochmals eine Stunde Ruhe vor dem Backen.
Wer Dirk Köstner und sein Team bei der Arbeit beobachtet, bemerkt schnell, dass Zeit nicht die einzige Ressource ist, die das Krustenbrot so außergewöhnlich macht. Auch mit besten Zutaten und sorgfältig geknetet, ist der Teig so empfindlich, dass der Bäckermeister ihn kaum aus den Augen lassen mag. Jede Reifephase braucht ihre optimale Temperatur, die richtige Luftfeuchte und erfahrene Profis, die auch kleinste Abweichungen im Prozess erkennen. Ganze 24 Stunden dauert es schließlich, bis der Teig des Krustenbrotes bereit für den Ofen ist.
„Bei der Backzeit entscheiden Minuten über Optik, Höhe und Geschmack des Brotes“, sagt Dirk Köstner und schiebt Dutzende Brote in den gewaltigen Steinofen. Routiniert regelt er die Anbacktemperatur und stellt später die Wärme für das Durchbacken ein. Wann immer nötig, gibt er Wasserdampf hinzu, damit die Kruste genauso gelingt, wie es die Kunden seit 1964 lieben. Damals war Firmengründer Robert Lindner selbst an der Entwicklung des Krustenbrot-Rezepts beteiligt. Dass es auch 60 Jahre später noch unverändert nach traditioneller Art gebacken wird, hätte ihm gewiss gefallen.
Sicherlich könnte man das Krustenbrot im Jubiläumsjahr mit großem Tamtam als „Signature-Produkt“ vermarkten. Doch viel wichtiger sind die vielen Lindner-Kunden, die es schlicht „mein Lieblingsbrot“ nennen.